Projektreise nach Warschau

Seit elf Jahren bereits verbindet das Hamburger Hansa-Kolleg eine Kooperation mit dem Kulturreferat des Ostpreußischen Landesmuseums in Lüneburg, und mit der inzwischen siebten großen gemeinsamen Projektreise wurde die Kooperation nun auch im Rahmen des neu gegründeten Campus Zweiter Bildungsweg, in dem das Hansa-Kolleg zusammen mit zwei Hamburger Abendschulen aufgegangen ist, weitergeführt. Die Reise war bereits seit Monaten in Planung, und eine gemeinsame Exkursion zum Nordost-Institut in Lüneburg, die wir im Mai unternommen hatten, hatte uns schon vor einigen Wochen auf unser Reiseziel eingestimmt. Frau Prof. Agnieszka Pufelska hatte uns dort mit den Besonderheiten des polnischen Selbstverständnisses und der polnischen Innenpolitik vertraut gemacht und uns sensibilisiert für die Frage, warum das Verhältnis zwischen den beiden so eng verflochtenen Nachbarn Polen und Deutschland immer noch und wieder so kompliziert ist. Auch hatten wir in Lüneburg Roman Polanskis Film „Der Pianist“ gesehen; und waren also vorbereitet auf die Geschichte einer Stadt, die die Nationalsozialisten 1945 versucht hatten für immer auszulöschen. Es ist ihnen nicht gelungen.

Vom 5. – 10. Juni fuhren 14 Kollegiatinnen und Kollegiaten in Begleitung ihrer Stellvertretenden Schulleiterin, Birgit Schaaff, zweier weiterer Lehrer, Sabine Stingl und Holger Wendebourg, sowie der Kulturreferentin Agata Kern nach Warschau. Das Wetter war grandios, die Stimmung auch, und so hätten die Voraussetzungen nicht besser sein können, diese gleichzeitig so nahe und unbekannte Metropole, Warschau, zu erkunden.

Wir fuhren mit dem Zug von Berlin, kamen am Montagabend an und begannen am folgenden Morgen mit einem dreitägigen Programm, das uns mit Hilfe von Agata Kern und unseres kundigen Tourguides Antoni die ganze Vielfalt der Kultur und Geschichte dieser aufregenden Stadt vor Augen führen sollte. Der erste Tag begann mit einem langen Stadtrundgang; anschließend waren wir zu Gast im Deutschen Historischen Institut, wo wir mit der aktuellen polnischen Geschichtspolitik vertraut gemacht wurden; und wir beendeten den Tag mit der Sonderausstellung zum 550. Geburtstag von Nikolaus Kopernikus, dem großen polnischen oder doch deutschen, in jedem Falle ostpreußischen Astronomen, der unser Bild des Universums revolutionierte.

Am folgenden Tag lernten wir die Gemälde der polnischen Nationalromantik des 19. Jahrhunderts im Nationalmuseum kennen, informierten uns im Neubau der Universität über das Studium der Germanistik in Polen und gingen dann ins Museum des Warschauer Aufstands – ein Museumsbesuch, der niemanden kaltlassen konnte. Die Bilder der Steinwüste, die die deutschen Truppen 1945 in Warschau hinterlassen hatten, waren kaum zu ertragen – und umso weniger, wenn man nun gerade die Bilder von Mariupol oder Bachmut vor Augen hat.

Der dritte Tag war dem Museum der polnischen Juden gewidmet und einer Führung über das weite Stadtgelände, das sich dort befindet, wo einst das Warschauer Ghetto auf drei Quadratkilometern zu dem Platz wurde, auf dem 450.000 Menschen unter elendesten Bedingungen leben, arbeiten und auf ihre Deportation warten mussten.

Heute ist Warschau wiederauferstanden – eine glänzende, lebendige, aufregende Metropole, mittelalterlich, sozialistisch, postmodern, voller Brüche, die wir in diesen Tagen angefangen haben, „lesen“ zu lernen.



Am Freitag konnte jeder auf seine eigene Weise seine Erfahrungen vertiefen, bevor wir die Reise mit einer Fahrstuhlfahrt auf die Panoramaplattform und einem gemeinsamen Abendessen im Restaurant des grandiosen Kulturpalastes haben ausklingen lassen.

Mag sein, dass wir Warschau immer noch nicht wirklich verstehen; aber in jedem Fall haben wir Warschau lieben gelernt.

Holger Wendebourg                                                                                                       (Oberstudienrat am Campus Zweiter Bildungsweg, Hamburg)

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